Waechters Münchner Freiheit - Leserbrief in der SZ vom 11. Juli 2016

Kommissar Waechter und ich teilen uns die Herzheimat: Altschwabing und die Münchner Freiheit. Immer wieder gibt es Vorschläge, wie man das Forum an der Münchner Freiheit aufwerten, durchdesignen und gentrifizieren könnte. Warum Waechter und ich das nicht wollen, habe ich in meinem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung ausgeführt, abgedruckt am 11. Juli 2016. 

Geliebter Dorfplatz

Wenn Touristen zur Münchner Freiheit kommen, suchen sie das Schwabinger Flair vergeblich. Schade für sie, gut für uns Schwabinger. Denn wir haben das Flair längst gefunden. Die Münchner Freiheit ist für uns ein jahrzehntelang gewachsener Dorfplatz geworden, und den würden wir gerne so behalten, wie er ist.

 

Wer sich über den städtebaulichen Verhau aufregt, das sind nicht die Schwabinger, die ihn täglich benutzen. Nicht die Mutter, die mit einem Eis auf den Stufen des Forums sitzt und den Kindern beim Einfach-So-Sein zuschaut. Nicht der Frührentner, der mit den Berbern Schachfiguren übers Pflaster zieht. Nicht der Angestellte, der nach Ladenschluss mit seinem Feierabendbier am Springbrunnen hockt und den Tanz der Parkourakrobaten beobachtet. Nicht der ältere Herr, der in der Unterführung wohnt, Krimis liest und jeden freundlich grüßt. Nicht der Künstler, der im Straßencafé hinter seinem Macbook hofft, erkannt zu werden. Nicht die Einsatzkräfte, die nachts um drei am „Deubl Glass Cube“ schwarzen Kaffee bestellen. Das ist unsere Münchner „Freiheit“. Uns fehlt es an nichts, schon gar nicht an Touristen, Gentrifizierung oder einer Großbaustelle.

 

Der Spielplatz

Der Spielplatz ist ein Treffpunkt für alle Kinder des Stadtviertels. Die Münchner Freiheit ist einer der wenigen Plätze der Stadt, wo ich zu meinen Kindern sagen kann: „Lauft los“. Wo sie auf Bäume klettern können, Eis kaufen und Freunde treffen, ohne sich zu verabreden. Ohne den großen Spielplatz würden die Schwabinger Kinder wieder in den Privatwohnungen und Klavierstunden verschwinden. Im immer dichter werdenden München brauchen wir Platz für die Kinder. Sonst haben wir irgendwann eine Innenstadt ohne Familien.

 

Das Forum

Das Forum ist unser Dorfhock. Straßenmusiker, Nachbarn, Flaneure, Wohnungsflüchter und Familien koexistieren hier friedlich im Klang der Akkordeonmusik aus dem Tunnel. Auch die Alkoholiker und Obdachlosen sind unsere Nachbarn und gehören hier ins Viertel. Nirgendwo sonst sieht man einen so bunten Querschnitt der Schwabinger Bevölkerung. Nach oben ist der Platz nicht unvollendet. Im Gegenteil: Oben finden wir freien Blick, grüne Bänke zum Ausruhen, die Stände des Wochenmarkts und die Bäume des Abenteuerspielplatzes. Die Freiheit.

 

Der Parkplatz

Wir brauchen den öffentlichen Parkplatz dringend, sonst würde der Parkdruck für uns Anwohner unerträglich. Schon jetzt versuche ich in Stoßzeiten bis zu dreißig Minuten lang vergeblich, mein Auto irgendwo loszuwerden. Ohne den öffentlichen Parkplatz würden unsere Straßen aus allen Nähten platzen.

Auf dem öffentlichen Parkplatz finden auch die Nutzer von Carsharing einfach und nah ihre Fahrzeuge – ein ökologischer Vorteil für München.

 

Die Bebauung

Bei dem Gedanken an eine „schlanke Bebauung“ schüttelt es mich vor Grausen. „Goldgrund“ war anscheinend doch keine Satire. Statt eines freien Blicks auf die wunderbaren Jugendstilhäuser hätten wir einen düsteren Riegel von gesichtslosen Bauträgerwürfeln vor der Nase. Wegen der Lage wären die Gebäude Luxusobjekte, die den Mietspiegel im Viertel erneut in die Höhe schnellen lassen würden. Normale Angestellte und Familien würden endgültig aus dem Viertel verdrängt. Wir Nachbarn müssten jahrelang eine stinkende Großbaustelle aushalten, ohne Forum und Spielplatz. Die Gastronomen in der Fußgängerzone würden pleite gehen. Wer will schon mit Blick auf tosende Baugruben seinen Kaffee trinken? Eine solche Bebauung heißt Vertreibung und Verdrängung. Bitte, bitte nicht!

 

Die Erlöserkirche

Die Abriegelung der Erlöserkirche ist tatsächlich ein städtebauliches Problem ist. Sie ist auf dem Landweg kaum erreichbar. Es gäbe schon jetzt minimal invasive Lösungen, um das Problem abzumildern: Rechtzeitiges Herunterbremsen des Verkehrs, Verengung der Fahrbahn ab Dietlindenstraße auf eine Fahrspur, ein zusätzlicher Fußgängerüberweg mit Ampel.

 

Es gibt kleine Dinge, über die wir uns wirklich freuen würden. Zum Beispiel besagten Fußgängerüberweg zur Erlöserkirche, Bänke mit Lehnen auf dem Spielplatz für die stillenden Mütter, ein oder zwei Schattenbäume mehr im Forumsbereich, Öffnung des Fahrradwegs am Forum entlang für Fußgänger. Dass jemand dem Akkordeonspieler mal ein neues Lied beibringt.

Aber wir brauchen keinen schick gemachten, durchdesignten, mit Stahl, Glas und Beton abgeriegelten Platz. Keine Gentrifizierung der Münchner Freiheit. Eine gute Gestaltung kann auch Nicht-Gestaltung sein.

 

Wir wollen unseren Dorfplatz erhalten.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Nicole Neubauer

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